Dieser Beitrag wurde am 11. Juni 2020 überarbeitet.
Das Kruckenkreuz war das Symbol der „Vaterländischen Front“, der Einheitspartei in Dollfuß‘ Ständestaat. Obwohl seit dem Ende des austrofaschistischen Ständestaats mittlerweile 82 Jahre vergangen sind, findet sich an einer Mauer in Wien noch eines jener Zeichen. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Geschichte des Kruckenkreuzes und warum es für die Christlichsozialen eine so hohe Bedeutung hatte, die es als Parteisymbol legitimierte.
Die Geschichte des Kruckenkreuzes
Das Alter des Kruckenkreuzes selbst lässt sich mit mindestens 2600 Jahren angeben. Es wurde als Zierelement eines Alltagsgegenstands dieses Zeitraums auf Rhodos gefunden.
Besonderen Wert erhielt das Symbol für die Funktionäre des Ständestaats – als ein „im Namen Gottes, des Allmächtigen, von dem alles Recht ausgeht“ christlichen, deutschen Bundesstaates – durch seine Verwendung unter dem König der Ostgoten Theoderich dem Großen. Dieser frühe christliche Herrscher ließ im 5. und 6. Jahrhundert Münzen prägen, die ein Kruckenkreuz zierte. Ab jener Zeit lässt sich die Verbreitung des Symbols etwa unter den Langobarden und den Merowingern über Jahrhunderte nachvollziehen. Ebenso wurde es im oströmischen Reich mindestens bis ins Jahr 930 verwendet, nachdem es von den Ostgoten übernommen worden war.
Eine erneute starke Verbindung zum frühen Christentum erhält das Symbol in seiner Form des Jerusalemkreuzes. Dieses trägt in seinen vier Ecken weitere kleine Kreuze – in ihrer Gesamtheit symbolisieren sie die fünf Wundmale Christi. Gottfried von Bouillons Wappen zierte beim Ersten Kreuzzug zwischen 1096 und 1099 dieses Symbol.
Im 14. Jahrhundert malte Erzherzog Rudolf IV., einer der wohl bis heute wichtigsten und nachhaltigsten Herrscher Österreichs, das Kruckenkreuz zu seiner Unterschrift und auch spätere Regenten verwendeten es im Wappen oder ließen es auf Münzen prägen. 1922 schließlich entdeckte Ignaz Seipel, damals christlichsozialer Bundeskanzler, das Kruckenkreuz wieder und gestaltete damit das Große Ehrenzeichen der Ersten Republik. Ab 1924 zierte es die Rückseite österreichischer Münzen.
Das Kruckenkreuz im austrofaschistischen Ständestaat
Dieser Herleitung aus frühen christlichen Tagen, die mit berühmten historischen Ereignissen und Personen der Geschichte untermauert werden konnte, bedienten sich 1933 auch die Entscheidungsträger des Ständestaats. Engelbert Dollfuß, der im März dieses Jahres die parlamentarische Demokratie der Ersten Republik lahmgelegt hatte, setzte nun alles daran, in Österreich ein wirkungsvolles Gegengewicht zum Nationalsozialismus zu installieren, der mit Hitlers Ernennung zum deutschen Reichskanzler einen ungeheuren Machtschub erfuhr.
Am 1. September 1933 wurde das Kruckenkreuz offiziell als Symbol der „Vaterländischen Front“, der Einheitspartei im Ständestaat, eingesetzt. Es sollte dem katholisch dominierten Österreich ein klares Zeichen für die seit frühen Tagen bestehende starke Verbundenheit zum Christentum symbolisieren und so der Wirkmacht des heidnischen Hakenkreuzes der Nationalsozialisten das Wasser abgraben.
„Im Kampf gegen den Marxismus, der rascher, als jemand zu hoffen wagte, zurückgedrängt werden konnte, ist uns unter der Fahne des Nationalsozialismus eine Bewegung in den Rücken gefallen, und so war die Regierung gezwungen, in einem Zweifrontenkrieg die Führung des Staates fest in die Hand zu nehmen und aus eigenem Gewissen und eigener Verantwortung die nötigen Vorsorgen zu treffen.“1
Eine direkte Parallele zum Ersten Kreuzzug baute Dollfuß am Ende seiner bekannten Trabrennplatzrede vom 11. September 1933 ein. Ob er sich damit in seinem Kampf gegen den Nationalsozialismus tatsächlich in die Tradition der Kreuzfahrer stellen oder damit nur einen überzeugenden Aspekt der Geschichte des Kruckenkreuzes in Erinnerung rufen wollte, sei dahingestellt. Schließlich wurde das neue Parteisymbol bei dieser Gelegenheit erstmals der Öffentlichkeit präsentiert.
„Wir alle gehen auch heute wieder mit dem Glauben von hier weg, einen höheren Auftrag zu erfüllen. Wie die Kreuzfahrer von dem gleichen Glauben durchdrungen waren, so wie hier vor Wien ein Marco d’Aviano gepredigt hat ‚Gott will es‘ – so sehen auch wir mit starkem Vertrauen in die Zukunft, in der Überzeugung: Gott will es!“2
„Gott will es!“ war jene Phrase, die die Kreuzzüge quasi von oberster Stelle her legitimiert hatte. Angeblich antwortete das Volk schon 1095 während der Synode von Clermont, als Papst Urban II. zum Kampf gegen die Ungläubigen und zur Befreiung von Jerusalem aufrief mit „Deus lo vult!“
Doch die Pläne gingen nicht auf – die tiefsitzende Abneigung gegen die Sozialdemokraten konnte nicht überwunden und so kein Gefühl der Einigkeit in der Bevölkerung erzielt werden. Zudem strahlte die unheilvolle Macht des Hakenkreuzes mittels des „Wirtschaftsaufschwungs“ aus Deutschland herüber. Der Druck und die Einmischung Hitlers in österreichischen Belangen wuchs beständig, bis sich infolge des Juliabkommens 1936 der Nationalsozialismus in Österreich – trotz nach wie vor aufrechten Verbots – mehr oder weniger offen toleriert bis in die höchsten Regierungskreise festsetzen konnte. Das schwache statische Kruckenkreuz hatte zu diesem Zeitpunkt bereits gegen das aggressive und als dynamisch empfundene Hakenkreuz verloren.
„§ 2. (1) Die Kruckenkreuzflagge ist im Inlande der Staatsflagge
gleichzuhalten und kann neben dieser geführt werden.“3
Nach dem im März 1938 vollzogenen „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich entfernten die neuen Machthaber so gut wie alle Hinweise auf den Ständestaat. Hauptsächlich war es die jüdische Bevölkerung, die in sogenannten „Reibepartien“ die Parolen und Symbole entfernen musste – meist unter dem Gejohle der selbstgefälligen „Herrenrasse“.
Das Kruckenkreuz an einer Wiener Mauer
Wie dieses Kruckenkreuz, das an einer stark befahrenen Straße liegt, die Zeit bis 1945 überstehen konnte, ist unklar. Wahrscheinlich wurde es übermalt, worauf die verwaschenen Farbreste hindeuten. Möglich ist auch, dass es sich bei den verlaufenen Farben um Spuren einer der oben bereits erwähnten Reibepartien handelt.
Um die Strukturen besser sichtbar zu machen, habe ich das Bild bearbeitet – oben ist das Original zu sehen, unten die Bearbeitung.
Links des Kreuzes steht 19, rechts 36, wobei die Ziffer 9 durch eine Ausbesserung im Verputz so gut wie zerstört wurde.
Möchtest Du Dich erkenntlich zeigen? Hier hast Du die Möglichkeit dazu.
Fußnoten:
1+2 Engelbert Dollfuß, Trabrennplatzrede, 11. September 1933, online unter: Austria-Forum,
https://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Symbole/Faschismus_-_die_Symbole/Trabrennplatzrede_1933 (11. Juni 2020)
3 444. Bundesgesetz über die Flagge des Bundesstaates Österreich vom 28. Dezember 1936, online unter: ALEX Historische Rechts- und Gesetzestexte online,
http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=bgl&datum=19360004&seite=00001371 (11. Juni 2020)
Quellen:
Engelbert Dollfuß, Trabrennplatzrede am 11. September 1933, online unter: Austra-Forum,
https://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Symbole/Faschismus_-_die_Symbole/Trabrennplatzrede_1933 (11. Juni 2020)
Links und Literatur:
Austria-Forum, Kruckenkreuz, online unter:
https://austria-forum.org/af/AustriaWiki/Kruckenkreuz (11. Juni 2020)
Peter Diem, Das defensive Kruckenkreuz, online unter: Austria-Forum,
https://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Symbole/Kruckenkreuz (11. Juni 2020)
Peter Diem, Rot-Weiß-Rot durch die Jahrhunderte. Die wahre Geschichte der österreichischen Farben, online unter:
http://peter-diem.at/Buchtexte/rwr.htm (11. Juni 2020)
Interne Links:
Mehr zu den Jahren von 1918 bis zum „Anschluss“:
http://www.worteimdunkel.at/?page_id=457
Mehr zum Bundesverfassungsgesetz über die Wiedervereingung Österreichs mit dem Deutschen Reich:
https://www.worteimdunkel.at/?page_id=490#gesetz